By Paul Kevenhörster

Die Diskussion Uber Ratesysteme und Ratedemokratie hat seit eini gen Jahren im Zusammenhang mit der stUrmischen Debatte Uber Demo kratisierung und Systemveranderung neue Aktualitat gewonnen. Dies gilt besonders fUr die sogenannte Neue Linke, die in ihrem Demo kratieverstandnis freilich eher alte Linke ist. Wie ihr Neomarxis mus weitgehend als Renaissance von Theorien der zwanziger Jahre erscheint, 'so ist ihre Kritik der reprasentativen, pluralistischen Parlaments- und Parteiendemokratie quickly ausschlieBlich an den Ar gumenten und Alternativen orientiert, die vor und nach dem ersten Weltkrieg radikale, direkte, revolutionare Formen der Demokratie postulierten - unter ihnen vor allem das seit der Pariser Kommune von Marxisten glorifizierte Ratesystem. Die Tatsache, daB aIle Versuche zur Durchsetzung und Institutiona lisierung entweder blutig gescheitert oder binnem kurzem in Ein partei-Diktaturen Ubergegangen sind, hat die Anziehungskraft und den Mythos der Ratedemokratie kaum gemindert. Das BemUhen urn eine historische UberprUfung und Widerlegung der Rate-Theorie hat zwar eine reiche Literatur zu den deutschen und bayerischen Erfahrun gen von 1918/19, zur Pariser Kommune von 1870/71 und zur russi schen Revolution von 1917/18 hervorgebracht, doch relativ geringe Wirkung auf die politische Diskussion gezeitigt. Wir stehen vor der Tatsache, daB weder die historische und empirische Aufarbei tung, noch eine vergleichende politische examine es vermochten, der abstrakt-theoretisch oder aber parteilich-agitatorisch be grUndeten Utopie eines nie verwirklichten, gleichwohl als urnfas sende Losung des Demokratie- und Emanzipationsproblems angeprie senen Ratesystems beizukommen.

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Dabei werden die unvermeidlichen Kosten der Entscheidung ebenso aus der Betrachtung ausgeklammert wie die Moglichkeit von Fehlkalkulationen und die engen Grenzen menschlicher Entscheidungskapazitat (154). Die Zielfunktion selbst wird als fixiert und unveranderlich angesehen (155), die Aktoren konnen jeder Handlungsalternative einen numerischen Wert zuordnen und die verschiedenen Werte zu einer konsistenten und transitiven Wertskala zusammenfUgen. Diese Annahmen dUrften jedoch nur fUr extrem einfache System-Umwelt-Konstellationen zutreffen und in den fUr Industriegesellschaften typischen System-Umwelt-Beziehungen unrealistisch seine Es werden namlich einfache und leicht reproduzierbare Strukturen vorausgesetzt, die in diesen Gesellschaften kaum vorhanden sind.

Wenn die Ratetheorie diesen Widerspruch vermeiden will, muB die Norm permanenter Partizipation der Mehrheit aller Gesellschaftsmitglieder an Entscheidungsprozessen beibehalten werden. 38 Im Rahmen dieser direktdemokratischen Zielvorstellung stellt die Partizipation der Organisationsmitglieder nicht nur ein Instrument der Selektion von FUhrungspersonal und der politischen Kontrolle von Entscheidungen, so'ndern "einen Zweck in sich selbst" (174) dar. Unterstellt wird, daB die Gesellschaftsmitglieder ihre vielfaltigen Interessen Uber die Teilnahme an Entscheidungsprozessen im Gesamtsystem und in einzelnen Organisationen besser artikulieren und wahrnehmen konnen als Uber reprasentative Institutionen (175).

Die methodologische und strukturell-funktionale Kritik an der Homogenitatspramisse des Ratesystems gilt daher auch fur diese Voraussetzung der Partizipationspramisse: Da tot ale Homogenitat in einer Gesellschaft aus verschiedenen Grunden nicht verwirklicht werden kann, ist totale und permanente Partizipation ebenfalls irreal. Die zweite Hypothese, nach der eine Steigerung politischer Partizipation uber ein bestimmtes AusmaB hinaus Stabilitat und Funktionsfahigkeit demokratischer Systeme beeintrachtigt, ist durch Untersuchungen von Stouffer (195), Field (196), Lane (197) und Sanford (198) erhartet worden.

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